GENDER IFAQ‘s (infrequently asked questions)



Infrequently asked questions - Fragen, die viel zu selten über Gender gestellt werden, und die helfen, die Tragweite von Sexismus zu erkennen. Wenn ihr die Fragen anklickt, landet ihr bei kleinen Texten, die um verschiedene Realisierungsformen von Sexismus gehen - aber weil sie aufeinander aufbauen, lohnt es sich, sie der Reihenfolge nach zu lesen ;)

Fragenindex

Warum müssen Neugeborene in Deutschland Namen bekommen, die eindeutig „männlich“ oder „weiblich“ zugeordnet werden können?
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Warum gilt es als selbstverständlich, Geschichten zu erzählen, in denen die Geschlechtsidentität der Protagonist_innen vom Anfang bis zum Ende unverändert bleibt?
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Warum werden fast alle Trailer zu Kinofilmen von Stimmen gesprochen, welche als „männlich“ wahrgenommen werden?
Und warum ist mir das noch nie aufgefallen?
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Warum favorisieren Erbschafts-, Steuer-, und Asylrecht institutionalisierte Paarverhältnisse?
Warum haben in westlichen Gesellschaften Lesben und Schwule ein „Coming-Out“, während Heter@s das nicht haben (müssen)?
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Warum wird „Mädchen“ meist selbstverständlich suggeriert, sie würden später Ehefrauen und Mütter  werden?
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Warum können wir vergessen, wie eine Person heißt, wo sie aufgewachsen ist und wann sie Geburtstag hat, nicht aber, ob wir sie als „Mann“ oder „Frau“ wahrgenommen haben?
Warum scheint es so unvorstellbar, dass es
keinesoziale Einteilung von Menschen in „Frauen“ und „Männer“ gibt, dass Menschen „zwischen“ zwei Gendern liegen oder vom einen ins andere gewechselt haben?
Warum müssen Neugeborene in Deutschland Namen bekommen, die eindeutig „männlich“ oder „weiblich“ zugeordnet werden können?
 
Sexismus beginnt grundlegend mit der Unterscheidung von Menschen in zwei und nur zwei (hierarchisierte) Geschlechter und der Annahme, dass Menschen nach einem Entweder-oder-Modell einem dieser Geschlechter eindeutig zugeordnet werden könnten. Obwohl Zweigeschlechtlichkeit auch biologisch nicht richtig ist, wird diese Norm oft biologistisch erklärt. Eines dieser beiden konstruierten Geschlechter wird bereits bei der Geburt festgelegt und oft gewaltsam durchgesetzt, beispielsweise durch operative Eingriffe bei Säuglingen, welche mit „uneindeutigen“ Genitalien geboren wurden oder durch den alltäglichen Zwang, sich selbst in das zweigeschlechtliche Modell einzuordnen, sei es bei öffentlichen Toiletten, bei Formularen, bei was auch immer. 
Diese Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit durchdringt unseren Alltag und lässt keine Positionierungen/Identitäten jenseits von „männlich“ oder „weiblich“ oder auch jenseits von Geschlecht zu.
 
 
Warum gilt es als selbstverständlich, Geschichten zu erzählen, in denen die Geschlechtsidentität der Protagonist_innen vom Anfang bis zum Ende unverändert bleibt?
 

Zusammenhängend mit der zweigeschlechtlichen Norm wird stetig davon ausgegangen, dass das zugeschriebene Geschlecht einer Person auch zwangsläufig ihrer Selbstwahrnehmung entspräche, sowie dass die Gender-Identifikation einer Person ihr Leben lang gleichbleibend sein müsse.
 
 
Warum werden fast alle Trailer zu Kinofilmen von Stimmen gesprochen, welche als „männlich“ wahrgenommen werden?
Und warum ist mir das noch nie aufgefallen?
 
Die Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit führt auch zu Geschlechterrollen, also der Zuschreibung von Eigenschaften und Handlungsweisen. Dabei wird eines der Geschlechter als stark und fähig konstruiert, das andere als emotional und schwach. Durch die Zuschreibung von Rollen entsteht immer auch eine Hierarchisierung, die sich zum Beispiel darin zeigt, dass „Frauen“ häufig sexualisiert (dargestellt) werden und als „Männern“ „zur Verfügung stehend“ dargestellt und oft wahrgenommen werden.
Hinzu kommt, dass „Männer“ universalisiert und als Norm gesetzt werden, eine „männliche“ Wahrnehmung wird also als neutral und prototypisch für Menschen allgemein angesehen. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass „Männlichkeit“ meist nicht benannt, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt wird – nur „Frau“-sein muss besonders markiert werden: Zum Beispiel „Fußball“ und „Frauenfußball“.
Dies ist eine Strategie der Herstellung von Privilegierung von „Männern“ in Bezug auf Sexismus. Sie hat sich tief in unsere alltägliche Wahrnehmung eingeschrieben – so nehmen zum Beispiel viele Menschen die Protagonist_innen einer Geschichte zunächst als irgendwie „männlich“ wahr, bis diese anders benannt werden. Gleichzeitig sprechen viele Medien, die scheinbar neutral an ein „breites Publikum“ gerichtet sind, Menschen als „männlich“ an. Übrigens auch als Heter@. Mehr dazu im nächsten Absatz.
 
 
Warum favorisieren Erbschafts-, Steuer-, und Asylrecht institutionalisierte Paarverhältnisse?
Warum haben in westlichen Gesellschaften Lesben und Schwule ein „Coming-Out“, während Heter@s das nicht haben (müssen)?
 
Auf gleiche Art und Weise wie „Männlichkeit“ wird auch Heter@sexualität als allgemeinmenschlich universalisiert und stets als „normal“ vorausgesetzt, es sei denn, es wird explizit etwas anderes gesagt. (Wobei sich auch hierbei verschiedene Ebenen von Sexismus bedingen, so werden beispielsweise Schwule mehr wahrgenommen als Lesben, werden mehr thematisiert, ernster genommen und sichtbarer gemacht.)
Dieser Heter@sexismus impliziert gleichzeitig paarnormative Vorstellungen sowie normierende Vorstellungen über Sexualität.
 
 
Warum wird „Mädchen“ meist selbstverständlich suggeriert, sie würden später Ehefrauen und Mütter  werden?
 
Sexismus bedeutet auch, dass Menschen über Kinder und Familie charakterisiert werden, also zum Beispiel als „verheiratet, kinderlos“ benannt werden, nicht aber zum Beispiel als „Politgruppenlos, mit Haustier“ oder Ähnlichem. Vor allem „Frauen“ werden häufig über Familie und Kinder charakterisiert, so als seien dies notwendige Ziele im leben und Zeichen von „Gesundheit“.
„Frauen“ werden dabei mit „Müttern“ gleichgesetzt, so richten sich zum Beispiel Angebote, welche bei der Vereinbarkeit von „Familie&Beruf“ helfen sollen, stets an „Frauen“.
Gleichzeitig beinhalten solche als Norm konstruierten Familienverhältnisse die Naturalisierung von zwei Heter@Elternteilen sowie Kindern, welche von diesen beiden gezeugt wurden. Andere Lebensformen, wie zum Beispiel 3 Freundinnen, welche mit einem „adoptierten“ Kind zusammen leben, werden so als nicht wünschenswert und „unnormal“ dargestellt und un-denkbar gemacht. „Familie“ wird als nicht wählbar dargestellt.
 
 
Warum können wir vergessen, wie eine Person heißt, wo sie aufgewachsen ist und wann sie Geburtstag hat, nicht aber, ob wir sie als „Mann“ oder „Frau“ wahrgenommen haben?
Warum scheint es so unvorstellbar, dass es keine soziale Einteilung von Menschen in „Frauen“ und „Männer“ gibt, dass Menschen „zwischen“ zwei Gendern liegen oder vom einen ins andere gewechselt haben?
 
Sexismus konstruiert Geschlecht immer als Bezugsrahmen. Somit wird ebenfalls un-denkbar, dass Menschen sich zwischen den 2 anerkannten Geschlechtern verorten, sich mit beiden gleichzeitig identifizieren oder als ein ganz anderes Geschlecht oder völlig jenseits von Geschlecht. Solche Menschen werden in unserer Gesellschaft durch alle Realisierungsformen von Sexismus unsichtbar gemacht.
Die Vorstellungen von Geschlecht und von Zweigeschlechtlichkeit sind so sehr normalisiert, dass selbst viele „antisexistische“ Initiativen in sich erneut Sexismus reproduzieren: So kommen beispielsweise Quotierungen zwar „Frauen“ zugute, allerdings blenden sie Menschen jenseits der (zwei anerkannten) Geschlechter erneut aus und zwingen diese, sich in das zweigeschlechtliche Muster einzufügen, um teilhaben zu können.
Dies zeigt letztendlich, dass Sexismus ein vielfältiges Phänomen ist. Menschen können unterschiedlich stark durch Sexismus diskriminiert und unterschiedlich stark durch Sexismus privilegiert werden, und auch Menschen, die in einigen Aspekten sexistisch diskriminiert werden, können selbst Menschen in anderen Aspekten (in welchen sie selbst anderen gegenüber privilegiert sind) sexistisch diskriminieren.
Nachdem  ihr nun all das gelesen habt, ist uns noch eine Sache wichtig. Wir  möchten darauf hinweisen, dass Sexismus nicht einfach umkehrbar ist.
Wenn  zum Beispiel „Männer“ mit einer Rollenzuschreibung beleidigt werden, so  ist das sicher verletzend, und das möchten wir nicht absprechen.  Allerdings halten wir es für unpassend, in diesem Zusammenhang von  „Sexismus“ zu sprechen – und diese Beleidigung somit gleichzusetzen mit  der strukturellen Diskriminierung „nicht-männlicher“** Menschen, welche  täglich durch Institutionen, Medien, Staat und Alltag reproduziert und  gefestigt wird, oft als „normal“ wahrgenommen wird und häufig nicht  einmal der öffentlichen Thematisierung für wert befunden wird.
 
**  Wir sind uns der Problematik bewusst, dass wir mit der Bezeichnung  „nicht männlich“ eine große, heterogene Gruppe Menschen mit  verschiedensten Selbstbezeichnungen (erneut und somit reproduzierend) in  Bezug auf „Männlichkeit“ definiert haben. Wir sind offen für Vorschläge  für eine Begrifflichkeit, welche ausdrückt, dass Menschen in Bezug auf  Sexismus nicht oder teilweise nicht privilegiert sind und  (unterschiedliche) sexistische Diskriminierungserfahrungen machen.